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Haus Nr. 41 auf dem ![]() Karte Staatsarchiv Baselland |
Parzellenplan von Siegfried 1830-40 mit damaliger Hausnummerierung Museen Muttenz |
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Übersichtsplan Sektion A, 1918, Ausschnitt Bauverwaltung Muttenz |
Aus dem Muttenzer-Anzeiger vom 8. November 1940
Im alten Dorfzentrum von Muttenz wurde unlängst ein. umfangreiches Gebäude niedergelegt, welches jahrhundertelang der Oeffentlichkeit diente, und in dem sich ein gut Stück der lokalen Wirtschafts- und Kulturgeschichte abgespielt hat. Es betrifft das ehemalige Schul- und Gemeindehaus neben der Kirche.
Muttenz im 19 Jh. - eine der ältesten Fotographien von Muttenz
Museen Muttenz, Lizenzbedingungen CC BY-NC-SA 4.0
Film "Vom alten zum neuen Gemeindehaus" Teil 1: Das alte Schul- und Gemeindehaus
Film: Museen Muttenz
Die oftmals während den Abbrucharbeiten von vielen Gemeindegenossen gestellte Frage nach der Entstehung und dem Alter des Gebäudes, erfordert zur Beantwortung ein weites Zurückblättern in den alten Dokumenten und Urkunden und zwar bis in jene Zeit, da die adeligen Herren, die Münche noch auf ihrem Stammschlosse zu Münchenstein saßen und über. beide Dörfer Muttenz und Münchenstein die Herrschaft ausübten. Im Laufe der Zeit war der Glanz des einst zu Stadt und Land angesehenen und einflussreichen Geschlechts der Münche, aus deren Reihen einst Basler Bischöfe und Bürgermeister hervorgingen, verblaßt und der Reichtum dahingegangen.
Die kriegerischen Ereignisse im 15. Jahrhundert, namentlich der St. Jakobs- und der Schwabenkrieg brachten tiefgehende politische Umwälzungen.
Sie gingen am Adelsstande nicht spurlos vorüber. Vor allem wurde den Herren ihr zwiespältiges, mit dem Feinde sympathisierendes Verhalten nicht vergessen. Die Kluft zwischen Herrentum und Volk wurde tiefer, und immer mehr schwand die Macht und das Ansehen dieser feudalen Oberschicht. Misswirtschaft auf ihren Besitzungen und Untätigkeit,. Nicht selten verbunden mit verschwenderischem Tun führten nach und nach zum Zerfall des Adelstandes. Die Herren kamen in Geldnot. Ihrer bedrängten wirtschaftlichen Lage suchten sie durch die Verpfändung ihrer herrschaftlichen Einkünfte, der Zinsen und Zehnten abzuhelfen. Da sie selten mehr in die Lage kamen die Pfänder wieder einzulösen, gerieten sie in die Abhängigkeit ihrer Geldgeber, der Städte und reichen Bürgersfamilien.
Auf diese abschüssige Bahn gerieten auch die Münche von Münchenstein.
Am 18. Juli 1470 erklärte Konrad Münch, Herr zu Münchenstein und Wartenberg, seit dem .Abgang seines Vaters sei ihm mannigfaltige Widerwärtigkeit durch Krieg, Raub, Fehde und Feindschaft zugestoßen, die ihn in Schaden und Schulden gebracht habe, darum habe er Basel gebeten, daß sie das Schloß Münchenstein samt der Vorburg, auch die Schlösser auf dem Wartenberg, das Dorf Muttenz mit den Leuten, Gütern und aller Zubehörde zu ihren Handen nehmen, besitzen und verwalten mögen. Ebenso sollen der Stadt zufallen alle Zinsen und Gefälle, die Zehnten und alle Gerechtsame und Abgaben, die von der Herrschaft Muttenz-Münchenstein zu entrichten waren.
Basel willigte ein. 1470 wurde der Pfandvertrag für 12 Jahre abgeschlossen und damit trat Basel in den Genuss sämtlicher Herrschafts- und Nutzungsrechte der beiden Dörfer. Nicht inbegriffen war die Kollatur der Kirche St. Arbogast, das ,,Jus patronatus", das Recht die Pfarrei zu besetzen. Es lag in den Händen des Basler Domherrn, Peter zum Luft.
Einen wesentlichen Bestandteil der herrschaftlichen Güter und Gebäulichkeiten in Muttenz bildete die Gemeinde- oder Zehntentrotte. Sie war die Vorgängerin des Schul- und Gemeindehauses von welchem nachstehend die Rede sein soll. Dort mußte sämtlicher Wein der Gemarkung Muttenz gekeltert werden. Der zehnte Teil des Ertrages gehörte der Herrschaft. Seit 1470 der Pfandinhaberin, der Stadt Basel.
Muttenz besaß in früheren Jahrhunderten ein ausgedehntes Rebgelände von über 120 Jucharten. Laut den alten Aufzeichnungen betrug der Ertrag in geringen Weinjahren pro Jucharte 9-10 Saum. In guten Jahren steigerte sich die Ernte bis zu 28 Saum. Je nach der Ernte betrug somit der Zehntenanteil 100 bis 300 Saum. Wir Nachgeborene können uns daher kaum eine Vorstellung machen von dem regen Leben und Treiben, das alljährlich zur Herbstzeit in und um die obrigkeitliche Trotte herrschte. Tagelang rollten die beladenen Traubenwagen mit dem köstlichen Inhalt in die Räume, wo die Trauben durch junge Knaben mit Füßen ,,gestampft" und durch die beorderten Trottknechte gekeltert wurden. Unter der Aufsicht des Trottmeisters und der Zehntenberechtigten wurde der Zehntenwein unmittelbar an der Trotte bezogen und in große gesinnte Zehntenbockten gesammelt. Nachher wurde er an die Zehnteninhaber verteilt und abgeführt. Drei Vierteile des Weinzehnten bezog die Stadt und ein Viertel (die Quart) gehörte dem Bischof. Diese uralte Rechtsordnung hatte Bestand bis zur Ablösung der Zehntenpflicht und der Grund- und Bodenzinse im Jahre 1804.
Allem Anscheine nach war das alte Trottengebäude bei der Uebernahme durch die Stadt 1470 baufällig. Ob damals an Stelle des alten Gebäudes ein Neubau errichtet wurde, oder ob es sich gemäß den nachfolgenden Angaben nur um einen Umbau handelt, kann mit Sicherheit nicht festgestellt werden. Das Basler Ratsbuch (Ausgabenbuch) meldet uns darüber folgendes:
1470 | „10 Pfund für Holz zu houen zu der Trotten zu Muttenz, und dem Zimmermann gegeben auf dieselbe Trotten.“ |
1471 | „35 Pfund dem Zimmermann für die Trotten zu Muttenz. 11 Pfund demselben für die Trotten zu Muttenz. 5 Pfund für Fuhren von Holz für die Trotten. 3 Pfund für Latten und 28 Pfund für Ziegel für die Trotten. 1 Pfund Schilling die Trotten zu vorschlagen. (d. h. einzuwanden) 5 Schilling für Unschlitt für die Trotten. Item, 35 Gulden, 6 Schilling, 8 Pfenning dem Zimmermann, Hans Andres, für die Trotten zu Muttenz und daran verbouen. Item 11 Gulden demselben Zimmermann von der Trotten zu dem er die verdingt hat.“ |
1472 | „Item 8 Schillinge, 4 Pfennige von der Trotten zu Muttenz zu bessern. Item 2 Pfund, 9 Schillinge, 3 Pfennige für den Trottbaum zu führen und verzehrt als man den gen Muttenz führte. Item 12 und einhalb Schilling für ein Holz zu einer Stegen zur Trotten zu Muttenz. Item 20 Pfund Lienhard Zendlin uff das Verding der Trotten und Trotthuses daselbst.“ |
1473 | „Item Lienhard Zendlin von Lörrach für die Trotten fertig bezahlt mit Rest 5 Pfund.“ |
1474 | „Item 5 Pfund dem Ziegler uff Ziegel von Trotten fertig bezahlt mit Rest 5 Pfund. “ |
1475 | „Für ein Ofen in der Trotten zu Muttenz.“ |
Weitere Eintragungen im Ratshause fehlen. Das Ausgabenverzeichnis scheint nicht vollständig zu sein. Immerhin geht aus demselben hervor, daß zwischen dem Rat der Stadt Basel und dem Zimmermann Lienhard Zendlin aus Lörrach ein Verding für die Errichtung des Trotthauses getätigt worden war. Ein beim kürzlichen Abbruch zum Vorschein gekommenes Eingangstor auf der Ostseite, aus rötlichen Steinblöcken, versehen mit schönen Steinmetzzeichen, verweist in der kunstgerechten stilistischen Bearbeitung die Entstehung des Baues ins letzte Viertel des 15. Jahrhunderts.
Ueber die Größe des damaligen Gebäudes sind wir auf Vermutungen angewiesen. Dagegen konnte festgestellt werden, daß das alte Gebäude genau die gleiche Frontbreite von 20 Metern aufwies wie das nun abgetragene. Es war einstöckig, versehen mit einem hohen, vermutlich an den Giebelseiten abgewalmten Dache und gekrönt von einem Dachreiter mit Schlaguhr, ähnlich wie das Trottengebäude in unserer Nachbarsgemeinde Münchenstein. Durch steinerne rundbogige Einfahrtstore gelangte man in den großen Raum, wo zwei bis drei mächtige aus Eichenbalken konstruierte Trotten aufgerichtet waren. Daneben befanden sich noch ein bis zwei weitere Lokale. Diese dienten den Trottknechten und den Zehntenherren. Die angeführte Ausgabe im Ratsbuche für einen Ofen beweist, daß dort geheizt werden konnte.
Im Jahre 1480 wurden die Schloßgüter, deren Zinse der Stadt abzustatten waren, neu bereinigt, d.h. frischerdings umschrieben. Wie die Trotte, gehörte auch die angrenzende Liegenschaft, jetzt Gasthof zum Bären,.zum herschaftlichen Schloß, oder Stadt Baselgut.
Die Liegenschaft ist umschrieben wie folgt:
ltem Hans Hüglin der alt, (ein längst ausgestorbenes. Bürgergeschlecht) hatt ein Hofstatt stost an miner Herren (d.h. Stadt Basel) Gut, da die Trotten uffstat. 1528 gehörte die Liegenschaft (Bären) dem Untervogt, d. h. dem Gemeindevorsteher Arbogast Brodbeck und „lit neben miner Herren Trotten.“
1744 liegt „unserer gnäd. H. Herren Trotten neben Claus Schmidlin (Bären) ein ebenfalls ausgestorbenes Muttenzergeschlecht.
Seit wann diente das Trottengebäude zugleich auch als Schulhaus?
Diese Frage kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Die ersten Nachrichten über die Existenz einer Schule in Muttenz gehen zurück ins Zeitalter vor der Reformation. Die Volksschule ist aus der Kirche herausgewachsen. Der Unterricht in der Frühzeit, der in der Regel von Geistlichen erteilt wurde, hatte im Wesentlichen kirchlichen Charakter. Neben Lesen und Schreiben wurden hauptsächlich lateinische Hymnen und Gebete eingeübt. Daran nahmen nur einige wenige Knaben teil. Von 1527-1556 amtete als Schulmeister Jerg Haas, ein Dominikanermönch. 1529 trat er zum reformierten Glauben über und wurde 1536 züm Pfarrer nach Lausen berufen, in welcher Eigenschaft er zugleichleich auch Schulmeister und Siegrist zu Liestal war. Später wurde er Pfarrer in Reigoldswil, Helfer und Verweser in Buus und 1549 Pfarrer in Rümlingen. Er starb 1549-1550.
Wo die erste Schule gehalten wurde, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich wurde der Unterricht im Pfarrhause erteilt. Erst gegen die Wende des 16./17. Jahrhunderts wurde auf der Trotte ein Schullokal eingerichtet. Nach der Einführung der Reformation 1529, war auch das Schulwesen verbessert worden. Neben Lesen und Schreiben wurde der deutsche Psalmengesang geübt und besonders das neue Testament und der Katechismus gelehrt. Die Schule in Muttenz wurde zur DeputatenschuIe, einer Art Staatsschule, erhoben. Sie stand unter der Aufsicht des Deputatenamtes, den städtischen Verwaltern des Kirchen- und Schulgutes und gehörte zu den sieben bevorzugten Schulen der Landschaft. Der Lehrer war in der Regel geistlicher Kanditat oder Pfarrhelfer (Diakon). Seine Besoldung betrug jährlich, laut einem Auszug des Ratsprotokolls vom 4. Dezember 1724:
„12 Viernzel = 24 .Säcke Korn vom Landvogt zu beziehen, wird abgeliefert nach dem Dröschen. 4 Saum Wein, so aus der Zehntentrotte, nach dem Herbst überbracht werden. 20 Pfund Geld Schullohn, aus dem Kirchengut. 10, Pfund Geld, damit er 10 arme Schulkinder gratis unterrichte. 4 Klafter Holz, wofür er den Macherlohn und Fuhrlohn zu bezahlen hat und 10 Schilling von einer Hochzeit.“ Als: Nebeneinkünfte, die außerhalb der Besoldung stehen, sind angeführt: Im Winter hat er etwa 90 Schulkinder, deren jegliches wöchentlich 8 Pfennige, oder wenn es zugleich schreiben lernt, 1 Schilling bezahlet. |
Zu Anfang des 17. Jahrhunderts, um 1602, scheint eine Wohnung für den Schulmeister im 1. Stock über der Trotte, wo sich auch die Schulstube befand, eingebaut, worden zu sein. Bald hört man auch von Klagen über den presthaften Zustand von Wohnung und Schulstube. 1745 wird über Feuchtigkeit geklagt, herrührend vom Abort des über der Trotte liegenden Schullokales und über Störung des Unterrichts im Herbst, wenn die Trotten wochenlang im Betrieb waren.
Während der II. Hälfte des 18. Jahrhunderts erfuhr das Schul- und Trottengebäude grössere Veränderungen. Im Parterre neben der Trotte, auf der Südseite, errichtete man eine neue Schulstube und auf der nördlichen Seite fand die angeschaffte Feuerspritze ihren Platz.
Gemäss einer Datierung an einem Fenstersturz aus dem Jahre 1790, wurden ringsum neue Fenstereinfassungen eingesetzt, damit erhielt das Gebäude in der Hauptsache die Gestaltung, die es bis in die Neuzeit hinein bewahrt hatte. Das alte Trottenlokal war noch anfangs der 1880 er Jahr im Gebrauch. Nachdem es vorübergehend als Turnlokal benützt wurde, baute man den Gemeindesaal ein, der gleichzeitig neben Schulzwecken bis noch vor kurzem, den gesanglichen und musikalischen Vereinen als Uebungslokal gedient hatte.
In den letzten 40 Jahren, namentlich seit dem Bau der Ueberlandbahn, hat sich die Gemeinde gewaltig entwickelt. 1900 zählte sie 2500 Einwohner. Heute beträgt die Einwohnerzahl bald sechs Tausend. Schon im Jahre 1899-1900 wurde auf der Breite ein neues Schulhaus gebaut. 1935 wurde das dritte prächtige Schulhaus Hinterzweien eingeweiht. Damit hatte das veraltete Schulhaus bei der Kirche ausgedient.
Mit der Zunahme der Einwohnerschaft wuchsen auch die Arbeiten und die Geschäfte der Gemeindekanzlei rapid an. Die zur Verfügung stehenden Bürolokalitäten, die nach und nach, anstelle von Schulzimmern eingerichtet wurden, genügten den heutigen Anforderungen nicht mehr. Immer dringender wurden deshalb die Forderungen um Abhilfe der unhaltbar gewordenen Zustände. Eine Zeitlang erwog man einen Umbau der alten Liegenschaft. Nach reiflicher Prüfung aber wurde beschlossen, von einem solchen Projekte abzusehen, da die durch den Zustand des Gebäudes bedingten hohen Kosten zur Erlangung zweckdienlicher Lokale sich nicht rechtfertigen ließen.
Im August des laufenden Jahres, beschloß die Gemeindeversammlung, gemäß dem Antrage des Gemeinderates, den Abbruch des alten und zugleich den Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes. Gleichzeitig wurde die Gemeinde verpflichtet, eine Luftschutzanlage mit Alarmzentrale zu erstellen. Nach längeren Verhandlungen, geht nun, verbunden mii dem Neubau des Verwaltungsgebäudes, auch dieses Projekt der Ausführung entgegen.
Bald wird auf der Hofstatt der ehemaligen obrigkeitlichen Trotte ein neues stattliches Gebäude erstehen, das der Ortschaft zur Zierde und der Einwohnerschaft zu Nutzen und Ehre gereichen möge.
Wir leben in einer schweren Zeit. Niemand weiß, was uns die Zukunft noch bringen wird. Hoffen wir, ein gütiges Geschick möge unser Land und Volk von dem Kriege und seinen Schrecknissen gnädig bewahren.
Im hohen Turme unseres altehrwürdigen Gotteshauses hängt eine Glocke aus dem Jahre 1436. Wie seit Jahrhunderten schallt ihre Stimme noch täglich über unsere Häuser und Fluren. An ihrem Mantel sind die ehernen Worte eingegraben: O Rex glorie veni cum pace. Zu keiner Zeit mehr denn heute haben wir Grund und Ursache, alle unsere Wünsche und unser Hoffen mit der uralten Glockenbitte zu vereinigen:
O König der Ehren, komm mit Deinem Frieden! J.E. (Jakob Eglin)
Gemeindehaus um 1942
Museen Muttenz, Lizenzbedingungen CC BY-NC-SA 4.0
1942, Gasthof zum Bären und Gemeindehaus
Foto Paul Frey-Brüderlin, Muttenz, Museen Muttenz, Lizenzbedingungen CC BY-NC-SA 4.0
1967
Foto Paul Imbeck-Kobi, Museen Muttenz, Lizenzbedingungen CC BY-NC-SA 4.0
Film "Vom alten zum neuen Gemeindehaus" Teil 2: Neubau Gemeindehaus
Film: Museen Muttenz
Basellandschaftliche Zeitung vom 31. Juli 1942
Die letzten 20 Jahre haben den stadtnahen Gemeinden des untern Kantonsteiles eine rasch vorwärtsschreitende Entwicklung gebracht. Mancherorts hat sich während dieser Zeit die Zahl der Einwohner verdoppelt und die damit verbundene bauliche Entwicklung stellte die Gemeinden vor neue grosse Aufgaben wie Ausbau des Strassennetzes und der Wasserversorgung, Einführung der Schwemmkanalisation und Neubau von Schulhäusern usw. Für die Behörden und Verwaltungen bedeutete diese Entwicklung eine ständig steigende Arbeitslast. Die mit dem Kataster- und Steuerwesen, der Verwaltung der Wasserwerke, dem Einzug der Wasserzinse, Kanalisationsgebühren und Anwänderbeiträge, der Vergebung der öffentlichen Arbeiten verbundenen Mehrleistungen zwangen die Verwaltungen, ihr Personal bis auf den dreifachen Bestand zu bringen, um all den Anforderungen einer zum Teil sehr stürmischen Entwicklung gerecht werden zu können.
Die nach dem Aufschwung der Zwanzigerjahre einsetzende Krise erlaubt keinen Abbau des Verwaltungsapparates, denn die Arbeitsbeschaffungs- und Fürsorgemassnahmen brachten neue Aufgaben. Die Einführung des passiven Luftschutzes kurz vor dem Krieg und die Kriegsjahre mit dem Rationierungswesen, den militärischen Notstandsmassnahmen, dem Lohnausgleich und den vielfältigen Erhebungen über Mehranbau usw. bedeuteten für unser Gemeindeverwaltungen ausserordentliche Bewährungsproben, denen sie sich aber gewachsen zeigten.
Diese stetig wachsenden Aufgaben und der damit verbundene Zuwachs an Personal fand die meisten Gemeindeverwaltungen in Arbeitsräumen, die den Verhältnissen vor und während des ersten Weltkrieges entsprachen. Raummangel machte sich überall bemerkbar. Die notwendigen Rationalisierungsmassnahmen, die eine raschere und sicherere Erledigung der vielfältigen Arbeiten ermöglichten, konnten in den vorhandenen Büroräumen nicht durchgeführt werden. Es fehlte auch an würdigen Räumen für die Gemeinderäte und Gemeindekommissionen und Zivilstandsbeamten. Ein Beispiel: In der seinerzeit zweitgrössten Gemeinde des Kantons war die Buchhaltung mit 2 Beamten im Gemeinderatszimmer untergebracht. Der gleiche Raum diente auch als Trauzimmer und vor jeder Trauung musste die Arbeit unterbrochen und das Zimmer ausgeräumt werden. Dass solche Verhältnisse einen geordneten und rationellen Betrieb nicht zuliessen, Iiegt auf der Hand.
Schon seit einigen Jahren befassten sich die grössern Gemeinden mit Plänen für neue Verwaltungsgebäude. Pratteln kam vor einigen Jahren zu einem stattlichen Neubau. Birsfelden hat sich letztes Jahr durch Umbau seines Verwaltungsgebäudes geholfen. Allschwil erwarb eine bestehende Liegenschaft, die es zurzeit nach seinen Bedürfnissen umbaut. Münchenstein wird nur durch die Ungunst der Zeit an der Verwirklichung seines projektierten Verwaltungsgebäudes behindert.
Muttenz ist heute in der glücklichen Lage, dieser Tage sein neues Gemeindehaus zu beziehen. Auch in dieser Gegend wird damit ein Projekt verwirklicht, das wählend vielen Jahren die Behörden und Einwohner eingehend beschäftigte.
Als Muttenz sich anfangs des Krieges auf Grund militärischer Anordnung genötigt sah, für seine Luftschutzorganisation eine Alarmzentrale zu erstellen, beschloss man, nach manchen andern Projekten, diese in Verbindung mit dem nicht mehr aufzuschiebenden Neubau eines Gemeindehauses zu erstellen. Im August 1940 lud die Gemeinde 6 Architekten zu einem engern Planwettbewerb ein. Schon im September lagen die Entwürfe vor. Das Preisgericht erkannte dem heute verwirklichten Projekt des Architekten Wilhelm Zimmer in Birsfelden den ersten Preis zu. Nach Überarbeitung fand das Projekt auch die Zustimmung der Gemeindeversammlung. Es ist selbstverständlich, dass die um die Erhaltung des schönen Dorfbildes besorgte Bürgerschaft das Ergebnis des Wettbewerbs mit grossem Interesse verfolgte. Die zur Diskussion stehenden architektonischen und städtebaulichen Fragen grundsätzlicher Natur fanden verschiedenartige Bewertung, so dass die Ansichten über das Wettbewerbs-Ergebnis geteilt waren. Dieses Ergebnis, wie es nun heute verwirklicht vor unsern Augen steht, hat nach allgemeiner Ansicht die Richtigkeit des Jury-Entscheides bestätigt.
Es ging doch darum, neben die Kirche – einer Baugruppe von höchstem plastischem Reiz – ein Gemeindehaus zu stellen, das sich bei aller Selbständigkeit der architektonischen Haltung, in die schöne alte bauliche Umgebung zwanglos einfügt. Durch Beibehaltung der richtigen Situation des alten Gemeindehauses wurde dies erreicht, wobei der Neubau als selbstverständlich wirkender Teil des Strassendorfes erscheint. Die Hauptfront ist gegen den Dorfplatz gerichtet (der ja nichts anderes ist als die erweiterte durch die Kirche abgeschlossene Dorfstrasse) und nicht gegen die, um die Kirchenmauer herumgeführte Nebenstrasse. So bleibt ein richtiger Platz gewahrt, der Dorf und Kirche bindet. Es darf aber festgehalten werden, dass der Neubau auch den richtigen Masstab hat: er beeinträchtigt bei aller Selbständigkeit nicht die Wirkung der Kirche und erscheint anderseits auch nicht als Anhänger zum „Bären“. Die architektonische Gestaltung bringt eine bescheidene, aber würdige Repräsentation zum Ausdruck, wie sie einem öffentlichen Gebäude dieses Charakters zukommt. Die bewusste Anlehnung an die gediegenen Bauformen seiner Umgebung fügt den Neubau in das köstliche alte Dorfbild mit einer Selbstverständlichkeit ein, wie wenn es seit jeher dagestanden hätte. Das hohe Dach bekundet seine Berechtigung, indem es die Beziehung aufnimmt zur Kirche und den Tortürmen. Im Grundriss, in Raumdisposition und Durchbildung ist der Neubau im guten Sinne modern, die reichlich belichteten, schön proportionierten Räume sind auf die Anforderungen eines geordneten Verwaltungsbetriebes zugeschnitten. Durch Verwendung einheimischer Baustoffe in natürlicher und gut handwerklicher Verarbeitung ist auch im Innern eine Gediegenheit erzielt worden, die mit dem Äussern korrespondiert und den Bau aus einem Guss erscheinen lässt.
Die Disposition zeigt drei im Masstab verschiedene, gegeneinander klar abgesetzte Baukörper, welche die 3 Raumgruppen aufnehmen:
1. Der Haupttrakt enthält im Untergeschoss die Archivräume, Personalgarderobe, Heizung; im Erdgeschoss die Schalterhalle, Kanzleiräume, Verwalter- und Präsidentenbüro und im 1. Stock den grossen Sitzungssaal das Gemeinderatszimmer, das Zivilstandszimmer und 1 Warte-zimmer, die alle an einer schönen Vorhalle liegen.
2. Der Wohnungsflügel nimmt östlich die Verbindung zu den Häusern am Friedhofweg auf; im Untergeschoss liegen Abwartkeller und Waschküche; im Erdgeschoss Vorhalle und Toiletten zum Vereins-saal und im l. Stock die Wohnung des Ortspolizisten und Abwartes.
3. Der Saalflügel enthält im Erdgeschoss den Vereinssaal und darunter die Luftschutzalarmzentrale.
Die Bauarbeiten sind durchwegs in guter handwerklicher Tradition ausgeführt; sie stellen dem Können des heimischen Handwerkerstandes das beste Zeugnis aus. Die Arbeiten zur Alarmzentrale wurden Ende Oktober 1940 aufgenommen; die Zentrale konnte dem LuJtschutzkommando im Juli 1941 übergeben werden. Projektierung und Bauleitung besorgten die Ingenieure W. & J. Rapp in Verbindung mit dem Architekten.
Am 19. Mai 1941 begannen die Grabarbeiten zum Gemeindehaus, das Ende September gleichen Jahres fertig aufgerichtet war. Die Einweihung wird am 1. August 1942 vollzogen und Montag, den 8. August beginnt die Arbeit in den neuen Räumen. Man darf der Gemeinde Muttenz gratulieren, dass sie den Neubau trotz Krieg noch rechtzeitig, d. h. zu einer Zeit verwirklichen konnte, wo die grosse Baukostenverteuerung und der Materialmangel die Durchführung solcher Bauvorhaben verunmöglichen.
Mit dem neuen Gemeindehaus erhalten die Behörden und Verwaltung vor Muttenz ein Heim, das alle äussern Voraussetzungen für eine gedeihliche Arbeit zum Wohle der Gemeinde erfüllt.
Vor ville Johr won i in d’Schuel cho bi,
isch s’alti Gmeindihus au Schuelhus gsi.
Im Ärdgschoss het’s ä grosse Ruum, d’Kanzlei und au ä Police gha
Und obeninn – vier Zimmer mit Schuelbänk mit Schprisse dra.
S’ganz Hus isch primitiv und usgwohnt gsi,
bi Räge – uff em «Örtli» – het’s brucht ä Parapluie.
Sunsch hesch im ganze Hus kei Wasser gfunde,
das het me gholt am Brunne vor dr Chirche unde.
Isch das ä Gattig gsi dur ä Winter dure,
wemmä die grosse, runde Isenöfe het müesse füre.
Grad in dr Nöchi bisch fascht vergange vor schwitze
Und die andere hai vor friere chum chönne ruehig sitze.
Wär isch vo de Buebe no d’Schtäge ab gange?
Am Gländer abegrutscht sisi und hai enander ufgfange.
S’isch nümme vill zum hi mache gsi,
d’Böde hai gwagglet und dr Dachstock no meh.
S’ganz Hus het gschtöhnt es wetti go,
alt und müed sig’s vom lange Stoh.
Wo’s derno ändlig zum Abbruch isch cho,
het me gärn em en andere dr Platz überloh.
Und s’neui Gmeindihus das het dr gfalle.
Wit und breit isch’s schönschti gsi vo alle.
Mit em Dorfbild isch es gsi so ganz verbunde
Und drinn und drum umme hesch Blueme gfunde.
Sand- und Jurastei si dra verwändet worde
Und Holz us euserer Geged an möglichscht ville-n Orte.
Das het’s so warm und bodeständig gmacht,
ehrlig und ohni falschi Pracht.
Das gueti, schöni Hus stoht nümme-n e so do,
e gross Wandlig het’s müesse-n über sich lo goh,
und ganz glunge isch es dur eim duure,
wo d’Bagger hai afo risse an sine Muure.
Vom jetzige Hus will i euch nüt verroote,
gönget’s go luege, s’isch nit verbotte.
Elisabeth Schweizer
In der Mitte des Dorfkerns nimmt die Mittenza als neues Gemeindezentrum eine herausragende Stelle ein. Wo ehemals der herrschaftliche Dinghof stand, wurde 1941/42 eine neue Gemeindekanzlei errichtet. Die Erweiterung des Dorfes entlang der breiten Hauptstrasse nach Norden mit neuen Haustypen zeigte die Umwandlung des alten Bauerndorfes in eine Vorortsgemeinde mit wachsender Wohn-, Gewerbe- und Dienstleistungsnutzung an – ein Prozess der auch die einstigen Bauernhäuser im Oberdorf betraf. 1954 wurde mit einer Ortsplanung begonnen mit dem Ziel, das traditionelle Ortsbild zu erhalten. Die Gemeinde erwarb funktionslos gewordene Bauernhäuser und gab sie im Baurecht und mit Gestaltungsauflagen an neue Bewohner ab.
Auf Grund eines Wettbewerbs konnten die Zürcher Architekten Rolf Keller und Fritz Schwarz das Gemeindezentrum «Mittenza» 1965 – 70 errichten. Drei Volumen sind um einen neuen Platz gruppiert, je eines für die Gemeindeverwaltung, eines für ein Laden- und Bürogebäude, das dritte für ein Hotel mit Saal. Die Architekten suchten in der Gliederung der Baukörper, in der Gestaltung der Dachlandschaft, der Platzierung der Fenster und der Wahl von Materialien und Farben eine Einpassung in die bestehende Bebauung des Dorfes. Verglaste Öffnungen der Giebelmauern unter dem Dach erinnern an die ehemalige Holzverkleidung der Bauernhäuser und Speicher, sollen aber die neue Nutzung ebenfalls sichtbar machen. Skulpturale
Fassaden von beachtlicher Mauerstärke erwecken Assoziationen an alpine Architektur. Bandfenster und das weitgehend verglaste Parterre ergänzen das architektonische Vokabular, das zur Zeit seiner Erbauung von der Gemeinde, der Denkmalpflege und dem Heimatschutz als vorbildlich gefeiert wurde und zahlreiche Nachahmer in vergleichbaren dörflichen Situationen fand. Es war der Bau der Mittenza, der im Zentrum stand, als 1983 der Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes an Muttenz verliehen wurde. Kritische Stimmen dagegen bemängelten den assoziativen, episodenhaften Ansatz gegenüber der Tradition.
aus: Muttenz zu Beginn des neuen Jahrtausends, Dr. Ulrike Jehle, Architektur S. 147/148
Publikation „Die schönsten Bauten 1960–1975“, Schweizer Heimatschutz 2013
Dörfliche Idylle
Schwarz und Kellers Gemeindezentrum wurde nach seiner Eröffnung heiss diskutiert: Wie darf man in eine mittelalterliche Dorfstruktur eingreifen? Wie erhält man die Identität eines Dorfes trotz radikal veränderter Nutzungsansprüche?
- Muttenz - Bauen im historischen Dorfkern : ein werk-Gespräch über das neue Gemeindezentrum
Werk 4 1971: http://dx.doi.org/10.5169/seals-45001 - Zum Leserbrief von Alfred Wyss und Peter Zumthor im Werk
11/1971: http://dx.doi.org/10.5169/seals-45118